DongXi

[...] Im ersten Stadium der Reise wird der Held, wie wir alle, in die Konventionen der Gesellschaft HINEINGEBOREN, in denen er dann zunächst << schlummert >>. [...] Diese Konventionalität wird traditionellerweise mit einem beschränktem, getrübten Geisteszustand in Verbindung gebracht. In Asien heißt diese Beschränktheit Maya (Illusion), im Westen ist sie als Massenhypnose, als consensus trance, als KOLLEKTIVE PSYCHOSE bezeichnet worden. Diese Beschränkung oder Bewußtseinstrübung bleibt unbemerkt, da wir alle an ihr teilhaben. Aufgabe des Helden ist es, diese konventionelle Begrenzungen zu erkennen und zu überschreiten, eine Aufgabe, die mehr verlangt als nur ein Revoltieren gegen sozialen Normen, ein blindes gegen-kulturelles Aufbegehren. Sie beinhaltet vielmehr ein Erkennen dieser Grenzen und Verzerrungen, ihrer illusionären und willkürlichen Natur, und ein Ausbrechen aus diesen Grenzen, aus der WELTSICHT DER STAMMESPESPEKTIVE. Dies ist der Prozeß der << Detribalisierung >>, durch den ein Mensch von der Stammes- zu einer universaleren Perspektive reift. Ein solcher Mensch betrachtet das Leben nicht mehr durch die sichtverengenden und VERZERRENDEN BRILLENGLÄSER seiner Kultur, sondern beginnt die Entstellungen als solche zu sehen und zu korrigieren. Ehe er sie lösen kann, müssen jedoch erst viele andere Aufgaben bewältigt werden. Die erste forderet das Aufwachen aus dem konventionellen Schlummer: durch Annahme des Rufes zu Abenteuer und Erweckung.

Teil 2: Das Leben des Schamanen

3.Kapitel | Stadien der Reise

Konventioneller Schimmer

Der Geist des Schamanismus Roger N.Walsh
3b
Stadien der Reise

Die Berufung zu Abenteuer und Erweckung

In irgendeinem Stadium wird der Held aus seinem konventionellen Schlummer aufgeschreckt, durch eine KRISE, die sein Leben bis ins Mark erschüttert, eine existentielle Konfrontation, die alle bisher gehegten Überzeugungen in Frage stellt. Es mag eine persönliche Krankheit sein wie beim Schamanen, eine Konfrontation mit der Krankheit anderer wie beim Buddha, oder auch eine jähe Begegnung mit dem Tod. [...] Der Ruf zu Abenteuer und Entwicklung kann sich jedoch auch als innerer Drang äußern: er kann die Gestalt eines eindringlichen TRAUMES ODER GESICHTES annehmen, wie bei manchen Schamanen, oder eine tiefe Beeindruckung durch einen neuen Lehrer, eine neue Lehre. Er kann sich indirekt äußern als << GÖTTLICHE UNZUFRIEDENHEIT >>, als wachsendes Unbehagen an den Freuden der Welt, oder als bohrende Frage nach dem Sinn des Lebens. In unserer Kultur kann er die Form einer Existenz- oder Midlife- Krise annehmen, wenn auch die tiefere Ursachen und Problematiken der Krise nur selten voll erkannt werden. In irgendeiner Gestalt jedenfalls kommt die Herausforderung, offenbart die Grenzen des konventionellen Denkens und Lebens und drängt den Helden zur GRENZÜBERSCHREITUNG. Der Adressat des Rufes steht in einem SCHRECKLICHEN DILEMMA. Er muß sich entscheiden, ob er dem Ruf folgen und sich in die neuen und unbekannten Lebensbereichen hineinbegeben will, in die der Ruf ihn zieht, oder ob er ihn ablehnen und sich ins Vertraute zurückziehen will. Wer sich dem Ruf verschließt, hat kaum eine andere Wahl, als die Botschaft und ihre weitreichenden Implikationen zu verdrängen. Nur durch eine solche Verdrängung kann der Nichtheld zum verführerischen, aber auch betäubenden Dämmerszustand konventioneller Unbewußtsein zurückkehren, kann er zurücksinken in die << TRANQULISIERUNG DURCH DAS TRIVIALE >>. Eine solche Weigerung ist folgenschwer. Sie ist die Basis dessen, was die Existentialisten UNAUTHENTISCHES LEBEN UND ENTFREMDUNG nennen. Der Schamane, der den Ruf zurückweist, riskiert (wie gesagt wird) KRANKHEIT, WAHNSINN SOGAR TOD. Maslow faßt das Dilemma in die Formel: << Wer bewußt plant, weniger zu sein, als er sein kann, den warne ich: Er wird sein ganzes Leben tiefunglücklich sein. >> Fällt der Ruf dagegen auf fruchtbaren Boden, kann er zunächst einen Prozeß der ENTSAGUNG auslösen. Denn wenn sich die Lebensbestimmung ändert, kann vieles, was vorher als wertvoll galt, nun überflüssig erscheinen, als abzuwerfender Ballast.

Zucht und Schulung

[...] Nun beginnt die Phase der Zucht und Schulung. Dafür ist meist ein Lehrer erforderlich; daher folgt auf die Entsagungphase meist die Suche nach einem Lehrer. Manchmal handelt es sich um einen inneren Lehrer - einen inneren Führer, Guru oder Geist. Dies ist besonders bei Schamanen der Fall. In der Mehrzahl der Fälle ist jedoch ein äußerer Lehrer erforderlich, und dann, so De Ropp, steht der angehende Meisterspieler vor einer der härtesten BEWÄHRUNGSPROBEN seiner Laufbahn. Er muß einen Lehrer finden, der weder ein Narr noch ein Betrüger ist, und diesen Lehrer überzeugen, daß er, der angehende Schüler, es wert ist, daß man ihn unterrichtet. Seine künftige Entwicklung hängt weitgehend von dem Geschick ab, mit dem er diese Aufgabe meistert. [...] Solche Menschen leben in beiden Welten, der inneren und der äußeren, der transzendenten und der diesseitigen. Sie haben Zugang zu den tranzendenten Tiefen << drinnen>>, bemühen sich aber auch die Welt << draußen >> daran teilhaben zu lassen. [...] Auch beschreibt die Reise nicht immer einen einzigen großen Kreis des Rückzuges und der Wiederkehr. Sie kann auch aus einer Serie von Kreisen bestehen, in einer SPIRALE gleich,die in Schraubendrehungen immer höher klettert, auf Aussichtspunkte mit jeweils weiterer Perspektive. Die Reise des Helden bleibt daher nicht auf die großen Heiligen und Weisen beschränkt; sie steht jedem von uns bis zu einem gewissen Grad offen, je nachdem, mit welcher ERNSTHAFTIGKEIT wir sie antreten.

Rückkehr und Mitwirkung der Gesellschaft